Regenbogenschule:
Schule im Wandel - Schule mit der Zeit
- eine Schulgeschichte nacherzählt und basierend auf einer von Reinhard Reddemann (erster Schulleiter) vor 30 Jahren handgeschriebenen Chronik und einem aktuellen Interview mit ihm im Sommer 2008 -
Die heutige Regenbogenschule blickt zurück auf eine inzwischen 50-jährige Historie, mit Geschichten und Gesichtern, mit sehr bescheidenen Anfängen, mit großen und kleinen Veränderungen, mit geänderten Konzepten und veränderten Rahmenbedingungen, mit veränderter Schülerschaft, mit neuen Herausforderungen, ... – aber eigentlich mit der immer gleichen Aufgabe: eine möglichst optimale Förderung ‚unserer’ Schülerinnen und Schüler.
Wie die Aufgabe in ihrer jeweiligen Zeit gelöst wurde, davon berichtet die Schulchronik, die mit hier noch einmal aufgeblättert und künftig weiter fortgesetzt wird.
Helmut Hamsen, Schulleiter
Manchmal helfen Zufälle – Schätze in alten Kartons
Dass die heutige Regenbogenschule nicht irgendwann ‚fix und fertig’ da stand – das lässt sich leicht erahnen. Wie die Anfänge wirklich waren und was sich in den letzten fünf Jahrzehnten an Veränderungen ergeben hat, das lässt sich nicht leicht beschreiben. Doch: Ein großer Zufall (und damit einem glücklichen Umstand zu verdanken) ergab sich beim Aufräumen einer Abstellecke hinter dem Lehrmittelraum: Einige kipplig aufgestellte Kartons drohten umzufallen und – dann rutschten einige Hefter, einige lose Blätter und ein Stapel Fotos auf den Fußboden.
Dadurch kamen Aufzeichnungen und gesammelte Materialien aus Kartons zum Vorschein, die sicherlich schon mehrfach im Haus umgezogen waren, die vielleicht bei einem nächsten Umzug und Aufräumen schlichtweg gänzlich verschwunden wären. Was aber tun mit dem Schatz? Die Idee zu einer Aufarbeitung der Schulchronik wurde geboren. Und so beginnt eine neu aufgeschriebene Geschichte der heutigen Regenbogenschule:
„Schule im Wandel - Schule mit der Zeit“
So fing alles an (1957/1968): Eltern wollen etwas erreichen!
Die Geschichte beginnt mit einer kleinen Gruppe engagierter Eltern, darunter Dr. Karl Fütterer. Sie machten sich in der Mitte der 50er Jahre darüber Sorgen, was mit ihren (behinderten) Kindern künftig geschehen werde. Die Zeit war noch deutlich geprägt vom Krieg, vom Zusammenbruch und vom Wiederaufbau der Gesellschaft, von Wohnungsmangel und gesellschaftlichen Vorstellungen und rechtlichen Regelungen, die sich auf die Weimarer Republik oder noch frühere Strukturen bezogen, nur eiligst bereinigt von den schlimmsten Auswüchsen des Nationalsozialismus.
In dieser Zeit also machten sich Eltern auf den Weg, etwas Neues auszuprobieren. Rasch vergrößerte sich der Kreis der unmittelbar Betroffenen um Bekannte und Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben. Hierbei hatten Dr. Fütterer und seine Mitstreiter eine gute Hand: Erste Ideen wurden gesponnen, auf Realisierung geprüft und sehr pragmatisch angepackt.
Reinhard. Reddemann im Sommer 2008 zurückblickend auf die damalige Zeit und vergleichend mit heute: „Wenn die, die damals zusammen saßen, vorher Konzepte hätten schreiben, mittel- und langfristige Finanzierungspläne entwickeln oder aufwändige Anerkennungs- und Zertifizierungsverfahren bestehen sollen, ... wenn die vorher gewusst hätten, was an Arbeit auf sie zukommt – wer weiß, ob die sich überhaupt getraut hätten. Die haben einfach angefangen!“ |
Die Elterninitiative um Dr. Fütterer gründete Anfang 1957 den ‚Westf. Verein zur Förderung spastisch gelähmter Kinder e.V.’. Dies war bundesweit der dritte und in Nordrhein-Westfalen der erste Elternverein dieser Art. Dr. Fütterer war Gründungsvorsitzender und dann auch weiterhin langjähriger Vorsitzender des tatkräftigen Vereins, der es verstand, auch Persönlichkeiten aus dem münsterschen öffentlichen Leben, aus Verwaltungseinrichtungen in Münster anzusprechen und für die Aufgaben zu binden.
Aus dem Hüfferstift (Orthopädische Universitätsklinik Münster) wurde Klinikdirektor Prof. Dr. Hepp gewonnen. Damit war ein wichtiger Schritt getan, denn sogleich (schon im Juni 1957) liefen die ersten Aktivitäten ‚etwas für die Kinder zu tun’. Und das sah so aus: Prof. Dr. Hepp erklärte sich bereit, eine Ecke vom sog. Spielsaal im Hüfferstift abzuzwacken. Hinter einer spanischen Wand konnten eine Krankengymnastin, eine Kindergärtnerin und eine halbtags tätige Beschäftigungstherapeutin mit noch nicht schulpflichtigen Kindern, alle spastisch gelähmt, eine gezielte Betreuung und Förderung der Kinder aufnehmen.
Im Mai 1958 kam ‚Fräulein Meyer’ hinzu. Sie ist bereits pensionierte Volksschullehrerin, daher nicht mehr im Schuldienst, aber sehr erfahren in Sachen Lesen, Rechnen, Lernen. Die Kinder, deren Förderung durch den Verein im Sommer 1957 unter sehr bescheidenen Verhältnissen begonnen hatte, hatten nämlich durchaus Erfolge erzielt. Die besorgten und fürsorglichen Eltern wollten nun ‚Schule für mein Kind’. Die gab es nämlich noch nirgendwo, auch keine Schulpflicht für ihre Kinder.
Fräulein Meyer ist da!
Mit einer heute unglaublichen Durchsetzungskraft und Initiative hat der Verein außerhalb des Hüfferstifts für den Schulunterricht äußerst rasch Räume akquiriert. Also wurden die ersten Kinder ab Mai 1958 schulisch gefördert – sie erhielten regelmäßig Unterricht v.a. im Lesen und Schreiben, auch im Singen und sicherlich auch in Religion.
‚Fräulein Meyer’ fing einfach an, denn der Auftrag von Dr. Fütterer war klar formuliert: „Gretchen muss ´was lernen!“ (Gretchen war spastisch behindert, Tochter von Dr. Fütterer - das treibende Motiv seines Engagements). Antrag bei der Schulbehörde? Anerkennung durch die Schulbehörde? – besser gleich anfangen, dann fragen! Und ‚Fräulein Meyer’ hatte wohl einen insgesamt sehr prägenden Einfluss auf ‚ihre’ Schulkinder.
R. Reddemann berichtet folgende Anekdote, die ihm Jahre später erzählt wurde: „Von der Schulbehörde wurden das Engagement des Elternvereins und die Privatinitiative für die schulische Förderung eher argwöhnisch beobachtet. Deshalb erschien auch der für das Schulwesen zuständige Dezernent irgendwann zur Visite im Unterricht bei Frl. Meyer. Er beobachtete die Arbeit von Frl. Meyer, diese ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Dann beobachtete der Schulaufsichtsbeamte die Kinder, wie sie fleißig mitarbeiteten. Aber auch sie ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Dann fing er an, in Mappen und Heften der Kinder zu stöbern. Daraufhin meldete sich eines der Kinder ganz aufgeregt bei Frl. Meyer mit Fingerzeig auf den Schulaufsichtsbeamten – alle Schulkinder starrten in seine Richtung – und dann die kam laut hörbare Feststellung: „Frl. Meyer, Sie haben doch gesagt: Man geht nicht an die Taschen anderer Kinder!?“ Damit war die Visite schlagartig beendet. Der Schulunterricht als solcher wurde respektiert, die Schule aber noch nicht anerkannt. |
Schule im Tanzsaal: ‚Feldschlößchen’
Die ‚neuen’ Schulräume waren gesucht und gefunden worden im ‚Feldschlößchen’, einer Gastwirtschaft auf der Sentruper Höhe in Münster (die gibt es dort heute noch!). Von Montag bis Freitag gab es Schule im Gaststättensaal.
Am Freitag mussten Stühle, Tische und Tafeln weggeräumt, am Montag mussten Stühle, Tische und Tafeln wieder hervorgeholt werden. Zwischendurch am Freitag- und Samstagabend gab es nämlich sehr beliebte Tanzabende im Saal des ‚Feldschlößchen’. Das Wichtigste war am Montag das kräftige Auslüften und Fußbodenwischen, bevor die Kinder kamen. Diese wurden mit einem kleinen Bus zwischen den Elternhäusern in Münster und im Münsterland und dem ‚Feldschlößchen’ hin und her transportiert. Damit war der spätere ‚Schülerspezialverkehr’ geboren.
Der Tanzsaal wurde dreigeteilt: Ein Raum für die Krankengymnastik, ein Raum für die Beschäftigungstherapie, ein Raum für die ‚Schulkinder’. Die Raumaufteilung erfolgte durch verschiebbare Montagewände, also alles schlicht, improvisiert und für den Augenblick geschaffen.
Die Schule wächst: Was nun?
Ganz offensichtlich trafen die Vereinsaktivitäten, die Vorstellungen der Eltern und die tatsächlichen Fördermaßnahmen für die Kinder einen gemeinsamen Nerv: Die Zahl der unter den sehr beengten und schmalen Verhältnissen geförderten ‚Schulkinder’ wuchs schlagartig.
Wegweisend und schon fast hellsichtig für die Zukunft war die Entscheidung, Therapie und Schule nicht zu trennen, sondern möglichst zu integrieren in den Alltag der Kinder. Dies gelang, weil die handelnden Personen Frl. Trebes, Frl. Hebel und eben Frl. Meyer verstanden, worum es ging und sich auch miteinander verstanden.
Neue Partner verabreden sich auf eine Aufgabe,
eine überzeugende Idee und die richtigen Kontakte
Der Verein um Dr. Fütterer war weiter aktiv und konnte inzwischen auf konkrete Erfolge hinweisen. Und er war auf der Suche nach Partnern für die sich ausweitenden Aufgaben und Ausgaben. Ein neues, eigenes Gebäude sollte nun her.
Wieder fand sich ein günstig gelegenes Grundstück im Garten der Orthopädischen Klinik, direkt neben dem Hüfferstift gelegen, denn noch immer gab es gute persönliche Kontakte (Prof. Dr. Hepp, später Prof. Dr. Matthiaß). In kürzester Zeit entstanden eine Planung und in 1960/61 bereits ein moderner Neubau, der weithin als Mustereinrichtung für die Spastikerarbeit gelten sollte.
Für die Finanzierung gab es ein kleineres Darlehen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (heute Schulträger der Regenbogenschule), ein umso größeres Darlehen der gerade gegründeten Heinrich-Piepmeyer-Stifung (verwaltet vom Landschaftsverband) und natürlich ein Schulbaudarlehen des Landes Nordrhein-Westfalen. Man sieht: Kontakte und ihre hilfreiche Wirkung, ....
Der Neubau wurde am 14. Juli 1961 ‚unter großer öffentlicher Beteiligung feierlich eröffnet’ und – zwar noch nicht komplett fertig – sofort mit Aktivitäten ausgefüllt. Das neue Gebäude mit dem Namen ‚Heinrich-Piepmeyer-Haus’ wurde nämlich nicht nur von den Kindergartenkindern und den Schulkindern aus dem ‚Feldschlößchen’ bezogen, sondern sogleich wurde eine neue Aktivität aufgenommen: die sogenannten ‚Mutter-Kind-Kurse’ wurden sehr erfolgreich gestartet.
Aus der handschriftlichen Schulchronik: „So segensreich diese Aufgabe ist und wie groß die Erfolge auch sein mögen, die Durchführung der Mütterkurse und die gleichzeitige Arbeit an den Kindergarten- und Schulkindern unter einem Dach ist von Anfang an eine Erschwernis der Arbeit für beide Abteilungen. Die Schwierigkeiten werden sich im Laufe der Jahre bis zur Unerträglichkeit steigern, da sich das Alter der im Mütterkurs aufgenommenen Kinder immer weiter verjüngt und die Anzahl der Schulkinder steigen wird.“ |
Persönlichkeiten, Probleme und Lösungen
Überhaupt schien für die Schule im Heinrich-Piepmeyer-Haus eine schwieriger werdende Zeit heran zu brechen. Offenbar lag dies auch an persönlichen Differenzen, die sich aus den unterschiedlichen Charakteren speisten.
Aus der handschriftlichen Schulchronik: „Ostern 1962 tritt Frl. Lammerding den Dienst an der Schule an. Sie ist eine pensionierte Volksschullehrerin, die den Kindern in großer Liebe zugetan ist. Leider kommt es aber bald zu Unzuträglichkeiten zwischen den beiden pensionierten Damen, die die 14 Kinder jetzt unterrichten sollten. Da auch der Vorstand nicht in der Lage ist, Frl. Meyer umzustimmen, tritt sie nach den großen Ferien ihren Dienst nicht mehr an. Die Blumen, die der Vorstand ihr zum Dank für die geleistete Arbeit schickt, sendet sie wieder zurück.“ |
Zunächst einmal musste der Unterricht wieder gekürzt werden, da nur noch eine Lehrkraft zur Verfügung stand. Daraus erwuchs beim Vorstand der Impuls, es nunmehr mit der Anstellung von zwei hauptamtlichen - und damit noch nicht pensionierten - Lehrkräften zu versuchen. Eingestellt wurden Sonderschullehrer Reinhard Reddemann (als ‚Schulleiter’) und Volksschullehrerin Anna Schultheiß. Damit war eine der notwendigen Voraussetzungen für die staatliche Anerkennung als private Ersatzschule gegeben.
Obwohl nun bessere personelle Bedingungen herrschten, waren nicht alle Differenzen ausgeglichen. Es kam zu Reibereien über das Konzept und über Personen.
In der handschriftlichen Chronik ist vermerkt: „Während bisher der Kindergarten und die Beschäftigung der Kinder neben der Krankengymnastik im Vordergrund stand, soll jetzt die ordnungsgemäße Beschulung der Hauptgesichtspunkt der Arbeit werden. Da der Vorstand sich aber nicht entschließen kann, dem Schulleiter die verantwortliche Leitung der pädagogischen Arbeit zu übertragen, kommt es zu mehr oder weniger offen ausgetragenen Meinungskämpfen unter den Mitarbeitern um die rechte Integration der einzelnen Arbeitsfelder.“ „Mit dem Ende des Schuljahres 1963/64 scheidet Frau Schultheiß aus dem Dienst aus. Es war zu Misshelligkeiten zwischen ihr und dem 1. Vorsitzenden gekommen, da ihre Meinungen über die Erziehung des Kindes (Anmerkung: = Gretchen) des 1. Vorsitzenden nicht übereinstimmten.“ |
Die Schülerzahl wächst
Trotz der internen Querelen wächst die Schülerzahl langsam aber stetig weiter. Die zwischenzeitlich wegen personellem Mangel eingestellte Vorschulgruppe wird wieder eingerichtet. Es werden 1963 zwei Klassen mit je 7 Kindern gebildet, davon eine als Anfängergruppe, die andere als Oberstufe. Der Klassenraum muss um einen Behelfsraum ergänzt werden und Umbauten sind nötig.
Chronik: „Zwei Jahre nach der Einweihung des Heinrich-Piepmeyer-Hauses müssen also schon die ersten Umbaumaßnahmen getroffen werden, weil man nicht mit einer Zunahme der schulpflichtigen Kinder gerechnet hatte.“ |
In den Folgejahren bis 1967 stieg die Schülerzahl weiter an. Beschult wurden nun 18 Kinder, im November 1967 wurde mit einem neuen Schulpflichtgesetz festgelegt, dass die Schulpflicht auch für geistig behinderte Kinder gelten sollte. Damit wurde die Schülerzahl noch einmal gesteigert um weitere 10 Kinder und eine insgesamt dritte Klasse wurde aufgemacht.
Zu Beginn des Schuljahres 1968/69 gab es dann 29 Kinder mit 3 Lehrern und 3 Schulassistentinnen an der Schule.
Hier endet der erste Teil der Chronik. Beabsichtigt sind weitere Kapitel:
- Der Landschaftsverband wird Schulträger. Ein neues Schulzentrum entsteht am Bröderichweg.
- Veränderungen in der Schülerschaft – Veränderungen im sonderpädagogischen Konzept
- Schule im Umbruch: Integration und Inklusion – neue Begriffe und neue Herausforderungen