Regenbogenschule

Schule im Wandel - Schule mit der Zeit

Die Recherchen zu einer planmäßigen schulischen Förderung körperbehinderter Kinder zeigen, dass die ersten und noch unsystematischen Anfänge in der Mitte der 50er Jahre gelegen haben.

Deshalb blickt die heutige Regenbogenschule zurück auf eine inzwischen weit mehr als 50jährige Historie, mit Geschichten und Gesichtern, mit sehr bescheidenen Anfängen, mit großen und kleinen Veränderungen, mit geänderten Konzepten und veränderten Rahmenbedingungen, mit veränderter Schülerschaft, mit neuen Herausforderungen, ... – aber eigentlich mit der immer gleichen Aufgabe: eine möglichst optimale Förderung ‚unserer’ Schülerinnen und Schüler.

Wie die Aufgabe in ihrer jeweiligen Zeit gelöst wurde, davon berichtet dieser 2. Teil der Schulchronik (1968 – 1986), die mit dieser Regenbogenpost-Ausgabe aufgeblättert wird. Der 1. Teil (1957 – 1968) wurde bereits früher erarbeitet und veröffentlicht (Ausgabe 20 der ‚Regenbogenpost‘, Dez. 2008; s. Homepage der Regenbogenschule).

Münster, im Mai 2012

Sandra Seppi (SoLin), Helmut Hamsen, Schulleiter

 

Es geht nicht „einfach nur weiter“: Es muss sich ‘was ändern!

Ab Ende der 60er Jahre verändern sich abrupt und nachhaltig nicht nur die allgemeinen gesellschaftspolitischen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen, sondern auch die konkreten schulpolitischen Vorgaben.

Für viele Eltern wird das immer wichtiger und sie fordern ein, dass nach der Wiederaufbauzeit und mit dem sog. Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre eine schulische Reformpolitik in den Vordergrund tritt – und die Politik greift dies auf: Schulreformen und Schulversuche, Abitur und Universität, Gesamtschulen, Ganztagsschulen, gleiche Bildungschancen für Kinder und Jugendliche, ... stehen ab 1968 auf der Agenda – für alle Kinder mit Behinderung werden Schulpflicht und ‚Sonderschulen‘ eingeführt.

Ab Anfang/Mitte der 60er Jahre steigerte sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler nur langsam auf zwei Dutzend:

 

Reinhard Reddemann, damaliger Schulleiter, beklagt dennoch: In der Zwischenzeit waren wir in das Heinrich-Piepmeyer-Haus gewechselt und „… damit gehören zur Zeit 3 Lehrer und 3 Schulassistenten zum Personal der Schule. 24 Kinder werden in drei Klassen unterrichtet. Damit hat sich die Zahl der Kinder und auch der Mitarbeiter seit dem Einzug ins Heinrich-Piepmeyer-Haus etwa verdoppelt. Die Arbeitsmöglichkeit ist trotz der besseren Personalausstattung von der Räumlichkeit her so beengt, dass die Erfolge sehr fragwürdig sind.“

 

Nun wuchs mit dem Schuljahr 1968/69 die Zahl rasch auf 29 Kinder.

 

Steigende Schülerzahlen verursachen Raumnot und erfordern Umbauten

Permanent steigende Schülerzahlen – zum Zeitpunkt der Planungen zwei Jahre zuvor hatte der Trägerverein ‚Verein zur Förderung spastisch gelähmter und anderer Körperbehinderter e.V.‘ noch nicht mit der Einführung der Schulpflicht gerechnet – und der sich daraus ergebende höhere Raumbedarf erfordern einen Umbau des gerade fertig gestellten Heinrich-Piepmeyer-Hauses.

Nach den Vorstellungen der Planer sollte der Umbau zu Beginn des Schuljahres 1969/1970 bereits fertig gestellt sein. Doch es kommt wie so oft: Zu Schuljahresbeginn hat der Umbau noch nicht einmal begonnen. Und die fieberhafte Suche nach einer Bleibe während des Umbaus, der nun bis Weihnachten 1970 veranschlagt wird, beginnt.

Schließlich wird der Schulunterricht in dem Jugendheim der Pfarrgemeinde ‚St. Theresia vom Kinde Jesu’ an der Waldeyerstraße durchgeführt. Der Kindergarten wird in einen Raum im Hüfferstift ausquartiert.

Nahezu unmögliche Arbeitsbedingungen bestimmen für die nächsten Monate den Schulalltag. Zu Beginn jedes Wochenendes müssen alle Möbel, Geräte und Arbeitsmittel in einen Abstellraum geräumt werden, damit das Jugendheim samstags und sonntags zur Nutzung durch die Pfarrgemeinde für Veranstaltungen und Feste zur Verfügung steht.

 

Reinhard Reddemann: „Montags erinnern die Räume mit herumliegenden Flaschen und kaltem Zigarettenrauch weit mehr an eine Kneipe als an Schulräume. Die Kinder haben keinen Raum, wo sie bei schlechtem Wetter in den Pausen die Schule hinter sich lassen können, und bei Sonnenschein ist draußen auch keine Spielmöglichkeit. 32 Kinder mussten ein Jahr lang diese Karikatur einer Schule über sich ergehen lassen.“

 

Der in dieser Zeit erfolgende außerordentlich hohe Personalwechsel zeigt, wie sehr diese Arbeitsumstände, die sich nicht wie geplant bis Weihnachten, sondern über das ganze Schuljahr erstrecken, an den Nerven aller zerren. Und auch der geplante Umzug zu Beginn des Schuljahres 1970/71 in den Neubau gestaltet sich als unmöglich, da kein einziger Raum bezugsfertig ist. Nachdem das Schulamt einen verschobenen Schuljahresbeginn genehmigt, beginnt der Unterricht drei Wochen später in drei bereits fertig gestellten Gymnastikräumen. Der Umbau und die Einrichtung der Klassenräume müssen noch vollendet werden.

Die für das Schulkonzept wichtige Schulküche ist noch immer nicht fertig, sodass kein Ganztagsbetrieb angeboten werden kann. Für die Schüler endet weiterhin der Unterricht am Mittag.

Am 26. Oktober 1970 wird dann nach einem lange währenden Provisorium endlich der ‚geregelte‘ Schulbetrieb in den neuen Räumlichkeiten aufgenommen. Am 13. Februar 1971 findet die feierliche (Wieder-)Eröffnung desHeinrich-Piepmeyer-Hauses nach Fertigstellung des Erweiterungsgebäudes statt. Die Ruhe währt jedoch nicht lange:
Zwar hat sich inzwischen die Schülerzahl nur geringfügig erhöht, der Anteil von Schülern mit Mehrfachbehinderungen ist jedoch – wiederum unerwartet oder zumindest ohne vorherige Einplanung – angestiegen, sodass eine neue Klasse gebildet werden muss. 

Reinhard Reddemann: „Die Unterbringung dieser neu eingerichteten 4. Gruppe ist äußerst schwer. Wir verzichten auf den Personalaufenthaltsraum und müssen die Kinder dort unterbringen. Die Arbeitsmaterialien und Lehrmittel müssen im angrenzenden Toilettenvorraum aufbewahrt werden.“

 

Der Schulträger wechselt – Übernahme durch den LWL

Da der Trägerverein des Heinrich-Piepmeyer-Hauses durch die wiederholten Umbaumaßnahmen nun auch in eine schwierige finanzielle Lage gerät, kann er auf Dauer die Ausstattung für die Lehr- und Lernmittel sowie die dauerhaft erforderlichen Eigenmittel für das Personal nicht mehr aufwenden.
Was also tun?

Heilpädagogisches Voltigieren in bis heute bewährter Kooperation mit der Westf. Reit- und Fahrschule, damals noch in der sog. 'Reiterkaserne' an der Steinfurter Straße, heute auf Gut Havichhorst in Münster-Handorf angesiedelt.

Zunächst einmal gelingt es, in einer heute noch bekannten und vorbildlichen Spendenaktion
der ‚Westfälischen Nachrichten’ in der Vorweihnachtszeit 1971 die akute Finanzlücke zu schließen: Vier Wochen lang erscheinen fast täglich große und exklusive Berichte über die Arbeit der Schule und des Kindergartens und über den Trägerverein. Es gelingt, in dieser einmaligen Aktion für die Arbeit des Heinrich-Piepmeyer-Hauses Geld- und Sachspenden im Wert von über 60.000 DM einzunehmen.

Aber gleichzeitig wird deutlich, dass das auf Dauer nicht gelingen kann. Und dass die Lage vor allem bei weiter wachsenden Schülerzahlen immer problematischer werden wird. Das Heinrich-Piepmeyer-Haus kann die Notwendigkeiten zur Durchführung eines geordneten Schulbetriebes ohne grundlegende Hilfe nicht mehr alleine garantieren.

Zwischen dem Trägerverein und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe – der ist inzwischen vor dem Hintergrund des neuen Schulgesetzes gesetzlich zur Übernahme der Schulträgerschaft verpflichtet, soweit nicht andere Träger dazu bereit oder imstande sind – werden eiligst Gespräche aufgenommen und Verhandlungen geführt. Diese müssen rasch zu einem Abschluss geführt werden.

Nach intensiven Verhandlungen um die Schulträgerschaft, aber auch um den Weiterbestand des Heinrich- Piepmeyer-Hauses für die Frühförderung, fällt die Entscheidung: Der Landschaftsverband übernimmt die Schulträgerschaft für die ‚Westfälische Schule für Körperbehinderte’ in Münster (parallel dazu übernimmt er auch an anderen Standorten die Trägerschaft für weitere Körperbehindertenschulen in Westfalen-Lippe).

Rasch beginnt der neue Schulträger mit den Planungen: Grundstückssuche, Ideen, Planungen, Beschlüsse, Architekten, Bauunternehmung, .... Die Entscheidung für das Grundstück in Münster-Kinderhaus am Bröderichweg wird gefällt. Dort befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Gehörlosenschule.

 

... und wieder wird gebaut ....

Der LWL als neuer Schulträger steht vor der riesengroßen Aufgabe, in kürzester Zeit nicht nur in Münster, sondern auch an anderen Standorten, und nicht nur Körperbehindertenschulen, sondern auch Sehbehinderten-, Schwerhörigen- und Sprachbehindertenschulen zu errichten. Da ist es naheliegend, nach einer gleichen architektonischen Grundplanung und nach den gleichen Schulraumrichtlinien alle neuen Gebäude zu planen, die – wegen des Eilbedarfs – in kürzester Zeit errichtet werden sollen.

Was zu dieser Zeit niemand ahnte und erst Jahre später deutlich werden sollte: Der neue Schulträger LWL hatte sich mit dieser kurzen Vorbereitungszeit und der Eile große Probleme planerischer und bautechnischer Art sowie massive Baumängel eingehandelt. So geht z.B. der beauftragte Generalunternehmer für die Körperbehindertenschule in Münster schon während der Bauphase in Konkurs. Später notwendige umfassende Sanierungsmaßnahmen z.B. durch das Verbauen von Asbest, Flachdachproblematiken, Statikmängel, ... werden zu dieser Zeit noch nicht geahnt.

Als die Sonderschule für spastisch gelähmte Kinder ihren Unterrichtsbetrieb im Heinrich-Piepmeyer-Haus zum 31.10.1972 einstellt, erfolgen Umzug und Aufnahme des Schulbetriebes im neuen Gebäude noch für geraume Zeit unter provisorischen Bedingungen.
Mit dem 1. November 1972 nimmt die ‚Westfälische Schule für Körperbehinderte‘ im neu errichteten Gebäude am Bröderichweg den Unterrichtsbetrieb auf. Ab sofort werden die 56 Schülerinnen und Schüler in 6 Klassen von 6 Sonderschullehrern und 5 pädagogischen Unterrichtshilfen unterrichtet.

Baustelle auf der 'grünen Wiese': Ein Stahlträgerbau mit eingehängten Fertigbau-Böden, -decken und -wänden entsteht in Windeseile. So sind auch gravierende Baumängel gleich mit eingebaut, die aber erst Jahre später zum Vorschein kommen werden.

Vom gesamten Gebäudekomplex ist der sog. Klassentrakt zwar errichtet, aber es fehlen Ausstattungen, Eingangshalle und Haupteingang sind noch nicht fertig. Das Sekretariat wird bis auf Weiteres in einem Klassenraum untergebracht. Ein Lehrerzimmer und das Dienstzimmer für den ‚neuen‘ Schulleiter Reinhard Reddemann fehlen bzw. sind auch in einem Klassenraum untergebracht. Die Therapieräume sind ebenfalls noch nicht fertig. Deshalb findet auch die Therapie bis auf Weiteres in Klassenräumen statt.

Parallel zum Unterricht im Klassentrakt werden also bis 1974 – im Anschluss an den Klassentrakt – in einem zweiten Bauabschnitt der Funktionstrakt und der Verwaltungstrakt angebaut, im Wesentlichen so, wie wir sie heute noch kennen. Schließlich ab Sommer 1976 werden die Turnhalle, das Bewegungsbad und das Schwimmbad gebaut und 1978 fertig gestellt. Anfangs ist also die tägliche Schulzeit noch reduziert.

 

Neuanfang nach bestem Wissen und Können – irgendwie ist etwas Improvisation immer nötig!

Die neuen Herausforderungen werden nach bestem Wissen und Können angegangen. Aus dem Heinrich-Piepmeyer-Haus übernommen werden Reinhard Reddemann als Schulleiter, die zum  damaligen Zeitpunkt dort beschäftigten Lehrkräfte, Frau Marianne Goyke (Therapieleitung) und weitere Therapeutinnen und die Pflegekräfte (soweit diese sich nicht für die Weiterarbeit beim dort weiter angesiedelten Sonderkindergarten entscheiden), ebenso werden als Hausmeister Heinz Data (zuvor Fahrer für die Schülerbeförderung), Adele Tramm als Schulsekretärin und Gabi Rödl als Küchenfrau tätig.

Adele Tramm:„Beim LWL war für uns die Abteilung 60 zuständig. Aber ‘mal ganz ehrlich: Der LWL hatte noch keinerlei Erfahrungen als Schulträger. Wir haben uns anfangs mehr so durchgewurschtelt. Aber es lief – irgendwie.
Erst viel später hat man uns eine Schulverwaltung vor Ort vor die Nase gesetzt.“

Gleichzeitig mit der Übernahme der Schulträgerschaft durch den LWL und die Aufnahme des Schulbetriebes am Bröderichweg wird – räumlich angegliedert an das Josefsstift in Sendenhorst – eine Zweigstelle eröffnet.

Theo Eckmann, Konrektor der Westf. Schule für Körperbehinderte Münster, wird in Sendenhorst die nächsten Jahre vor Ort die Schulleitungsaufgaben wahrnehmen.

Die Schule in Münster und ihre Zweigstelle in Oelde verzeichnen in kürzester Zeit ein enormes Anwachsen der Schülerzahlen, denn die neuen räumlichen Voraussetzungen ermöglichen eine höhere Zahl an Schulneuaufnahmen.

Visite in der neuen Schule, von rechts: Landesdirektor Herbert Neseker, Städtebauminister Christoph Zöpel, Reinhard Reddemann, Landesrat Erhard Bruch

So werden im Schuljahr 1973/74 insgesamt 122 Schüler unterrichtet, davon 87 in der Hauptstelle Münster und 35 in der Zweigstelle Sendenhorst. Im Schuljahr 1974/75 beträgt die gesamte Schülerzahl schon 149. Erst später werden die Sendenhorster verselbständigt und beziehen dann das Schulgebäude in Oelde (heute: Erich-Kästner-Schule). Der bisherige Konrektor Theo Eckmann wird 1983 der neue Schulleiter in Oelde.

In die Schülerzahlprognosen der Anfangsjahre war unzureichend einbezogen worden, dass viele körperbehinderte und insbesondere schwerstmehrfachbehinderte Kinder überhaupt nicht beschult wurden und daher nirgendwo statistisch erfasst waren, weil es - bis dahin - für diesen Personenkreis keine Schulpflicht gab. Aber jetzt drängten auch diese z.T. schon herangewachsenen Kinder mit 10, 11 oder 12 Jahren erstmalig in die neuen Sonderschulen.

Und so lässt sich bereits 1975 hochrechnen, dass mit dem weiteren Aufbau der Schule das ursprünglich für die Aufnahme von bis zu 16 Klassen berechnete Schulgebäude zu klein und in folgenden Schuljahren keine Kapazitäten mehr zur Gründung neuer Eingangsklassen bestehen werden.

Ende der 70er Jahre sind also – mittlerweile - alle geplanten Gebäude für die Körperbehindertenschule in Münster fertig gestellt, aber es gibt schon wieder Raumnot: Im Schuljahr 1977/78 bestehen 20 Klassen in Münster. Da die Anzahl der verfügbaren Klassenräume (16) nicht ausreicht, werden Räume in der zwischenzeitlich fertig gestellten und direkt benachbarten Schwerhörigenschule mit genutzt. Allerdings fehlen hier die für den Ganztagsbetrieb notwendigen Nebenräume, insbesondere auch geeignete Pflege- und Therapieräume.

Im Schuljahr 1979/80 werden dann 226 Schüler in 23 Klassen unterrichtet und inzwischen ist die Körperbehindertenschule mit mehreren Klassenräumen nicht nur in der Schwerhörigenschule, sondern auf der anderen Seite des Schulhofes auch in der Sehbehindertenschule.

Es ist in diesen Jahren wie bei einem Umzugsunternehmen: Wechsel vom Hauptgebäude erst in die eine, dann in die andere Nachbarschule; die Klassenbildung erfolgt notgedrungen auch unter dem Aspekt, wo überhaupt noch geeignete Sanitärräume sind; ursprünglich geplante Fachräume wie ein Sprachlabor werden zu Klassenräumen umfunktioniert; ...

Mit der gewachsenen Schülerzahl und insbesondere dem von Beginn an sehr hohen Anteil an schwerstbehinderten und pflegebedürftigen Schülerinnen und Schülern bilden sich regelmäßig Warteschlangen vor den Toilettenräumen; ...

Schließlich trifft der Schulträger LWL die Entscheidung, dass mit Beginn des Schuljahres 1980/81 in Mettingen eine weitere Körperbehindertenschule eingerichtet werden soll. Damit kann der Schuleinzugsbereich für Münster ein weiteres Mal (nach Sendenhorst/Oelde) verkleinert werden. Wegen der akuten Raumenge in Münster werden auch gleich noch etliche Schüler in relativer Wohnortnähe zu Mettingen dorthin überwiesen. Das gab natürlich auch Tränen in manchen Klassen.

Die Schulleitung in Mettingen übernimmt Claudia Schunicht, die zuvor in Münster als Sonderschullehrerin tätig war.

 

Engagement, Bereitwilligkeit, Professionalität und Kreativität – die ersten Jahre sind auch personell knapp und pädagogischkonzeptionell etwas durchwachsen

Mit dem rasanten Anstieg der Schülerzahlen waren ab 1976 die Folgejahre von einem enormen Lehrermangel geprägt:

Die 'Kost-Klasse' von 1976/77: 14 Schüler*innen

Zu Beginn des Schuljahres 1976/77 fehlen mehr als 10 Lehrkräfte, von 46,8 Lehrerstellen sind lediglich 34,9 besetzt. Zu Beginn des Schuljahres 1977/78 fehlen 11 Lehrer, von 52,7 Stellen sind 41,6 besetzt.

Dem kann zunächst in der gebotenen Eile teilweise und vorübergehend durch die Neueinstellung von (noch) nicht ausgebildeten Lehrkräften als sog. ‘Schulassistentinnen‘ (später FachlehrerInnen) entgegengewirkt werden.

Um überhaupt einen Unterrichtsbetrieb gewährleisten zu können, werden – als Ergänzung zu nicht ausreichend vorhandenen SonderschullehrerInnen – auch Lehrkräfte aus anderen Schulformen eingestellt.

Zeitweilig muss der tägliche Unterrichtsbetrieb planmäßig reduziert werden. Mehrfach gibt es kurzfristig verfügte Unterrichtsverkürzungen oder einzelne Klassen müssen tageweise zu Hause bleiben, wenn zu viele Lehrkräfte wegen Erkrankung fehlen. Es müssen immer wieder große Klassen mit teilweise 12 oder 13 Schülern gebildet werden.

Im Schuljahr 1979/80 steigt die Unterbesetzung auf insgesamt 14 Lehrerstellen in Münster und Sendenhorst. Deutlich unterschieden wird zu dieser Zeit bei der Klassenbildung je nach Schweregrad der Behinderung. Es gibt sog. ‚Schwerstbehindertenklassen’ mit hochgradig behinderten Schülerinnen und Schülern, sie werden – heute unvorstellbar – geleitet von Schulassistenten oder auch von angeleiteten Pflegekräften.

Generell waren die Zahl und die Qualifikation der Pflegekräfte sehr gering. Zwar stehen bereits seit 1972 – also mit der Übernahme der Schulträgerschaft – auch Pflegekräfte zur Verfügung, aber die im Stellenplan des Schulträgers ausgewiesenen Stellen reichen nicht aus. Kurzerhand werden mehrere vorhandene Pflegekraft-Stellen umgewandelt: Je nicht besetzter Pflegekraftstelle werden – im Ergebnis kostenneutral – drei Zivildienstleistende eingesetzt.

Und Schulleiter Reddemann – auch ein Ergebnis langjähriger Erfahrungen in der ‚Mangel‘verwaltung – sucht, findet und stellt kurzerhand immer wieder Zivildienstleistende - zeitweilig bis zu 10 - ein, die bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und nützlich sind: Tischler, Apotheker, Krankenpfleger, Lehrer, Sozialpädagogen, .... – und sie bewähren sich in der Regel, zumindest füllen sie große Lücken.

Gekennzeichnet ist diese Zeit insgesamt von Aufbruchstimmung, neuen Ideen, auch etwas ‚Antiautoritäres’ ist dabei:
Das gesamte Kollegium ist eher jung. Nur wenige verfügen über eine langjährige Berufserfahrung und manche erfahrene LehrerkollegInnen werden rasch Schulleiter anderswo und sind nicht mehr da - Theo Eckmann in Oelde, Claudia Schunicht in Mettingen, .....

Administrative und bürokratische Regelungen sind – vergleichsweise – gering. Schulverwaltungsvorschriften, Schulaufsicht ... sind im Tagesgeschäft nicht sehr nah dran.
Und es gibt nicht nur eigenständige, sondern auch eigenwillige Persönlichkeiten in der Mitarbeiterschaft!
Die Schulleitung hat Verständnis für manches und gibt viel ‚freie Hand‘.

Meistens gelingt das. Aber es ist nicht immer ganz einfach und fordert den MitarbeiterInnen vieles ab an Organisations- und Improvisationsgeschick, an Ideen und Kreativität, auch ganz viel Zeit und eine hohe Eigenverantwortung. Und es werden auch Grenzen der Belastung zeitweilig überschritten. Schüler, Eltern und Mitarbeiterschaft müssen manche Kompromisse finden und aushalten.

Vor allem die schwerstbehinderten SchülerInnen, die bis dahin oft vom Schulbesuch frei gestellt waren – das sog. ‚Ruhen der Schulpflicht’ – kommen noch immer nicht zu ihrem Recht auf gute Förderung. Denn vieles bleibt bei allem guten Willen umständehalber vernachlässigt. So muss immer wieder und in hohem Umfang die ganz basale pflegerische Versorgung (‚satt, sauber, trocken‘) zu einem guten Teil bis weit in die 80er Jahre regelmäßig und in hohem Umfang von Lehrkräften übernommen werden.

 

Seit Jahrzehnten unverzichtbar: ‚unser‘ Förderverein

Schon im Frühjahr 1975 wird von Eltern der ‚Förderverein der Westf. Schule für Körperbehinderte Münster e.V.’ gegründet. Im Laufe des ersten Jahres treten etwa 80 Mitglieder dem Verein bei. Die ersten Anschaffungen des Vereins sind Arbeits- und Spielmaterialien für Schüler mit schweren Mehrfachbehinderungen. Das ist deshalb notwendig, weil z.B. zu dieser Zeit aus dem LWL-Schulbudget nur offizielle und zugelassene ‚Lehr- und Lernmittel‘ (also Mathe- und Englischbücher) angeschafft werden dürfen, obwohl diese für Schwerstbehinderte wenig hilfreich sind. Darüber hinaus werden z.B. eine zweitägige Klassenfahrt nach Köln für zwölf Schüler und andere Projekte bezuschusst.

 

Anmerkung: Über die inzwischen fast 40 Jahre des Bestehens des Fördervereins sind unzählige kleine und große Projekte verwirklicht worden. Immer sehr unbürokratisch, immer so großzügig wie es die Kassenlage zulässt, immer mit Blick auf die kleinen und großen Sorgen und Freuden, immer nah dran, worum es in der gemeinnützigen Arbeit geht: Etwas realisieren helfen, was sonst nicht möglich wäre.
Bis heute ist der Förderverein an unserer Schule mit jetzt etwa 200 Mitgliedern sehr aktiv und unterstützt die unterschiedlichen Fachbereiche an unserer Schule mit zum Teil erheblichen Sach- und Geldzuwendungen.

Gäbe es den Förderverein nicht schon, dann müsste er gegründet werden!

 

Von Beginn an kennzeichnend:
Eine sich immer wieder verändernde Schülerschaft

Die 70er Jahre sind geprägt vom generellen Anwachsen der Schülerzahlen, aber auch durch die zum Teil erstmalige Aufnahme schwerstbehinderter SchülerInnen (die u.U. erst im Alter von 10 oder 11 Jahren in eine Schule aufgenommen werden, s.o.) mit allen damit verbundenen Herausforderungen.

Aber noch werden in den Körperbehindertenschulen mit einem recht hohen Anteil Schülerinnen und Schüler nach Grund- und Hauptschulrichtlinien unterrichtet. ‚Integration’ ist noch weitgehend ein Fremdwort und für einen recht großen Teil der Schulabgänger führt der weitere Berufsweg in den 1. Arbeitsmarkt. Währenddessen muss für die schwerstbehinderten Schulabgänger der Weg in die Werkstätten für Behinderte erst noch gebahnt werden, z.T. mit allen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln. Denn auch das ist zu dieser Zeit nicht selbstverständlich: dass der Weg nach der Schulzeit nicht wieder wie selbstverständlich im Elternhaus oder in einer Pflegeeinrichtung endet.

Seit Beginn der 80er Jahre zeichnet sich sukzessiv eine sich verändernde Schülerschaft an allen Schulen für Körperbehinderte allgemein ab. Die Anzahl der Schüler mit Mehrfachbehinderungen steigt deutlich. Anfang der 80er Jahre sind durchschnittlich 30% alle SchülerInnen an den mittlerweile zwölf Westfälischen Schulen für Körperbehinderte mehrfachbehindert. Es werden aber immer noch 40 Prozent der Schülerschaft nach den Richtlinien für die Hauptschule unterrichtet.

Die Schule wehrt sich und macht 'Politik'

In Münster ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein anderer Trend zu beobachten: Immer weniger Schülerinnen und Schüler mit zielgleicher Förderung, von Beginn an über 40% Schwerstmehrfachbehinderte.

Das erzwingt geradezu eine kontinuierliche interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen pädagogischer und therapeutischer Arbeit von Lehrern und Therapeuten. Unterrichtskonzepte werden angepasst, die vorherigen homogenen Schwerstbehindertenklassen aufgehoben. Integration und Heterogenität ist jetzt gefragt. Natürlich stellt das alle Beteiligten – die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Mitarbeiterschaft – vor große Herausforderungen.

Umso unverständlicher erscheinen Anfang der 80er Jahre – im Zuge von Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung – die Bestrebungen des Schulträgers LWL, in dieser Zeit einen radikalen Stellenabbau von Beschäftigungstherapeuten und Logopäden in den Schulen vorzunehmen:

Der Schulträger möchte diese Aufgaben am liebsten abgeben, betrachtet das Angebot an Beschäftigungstherapie und Logopädie als ‚freiwillige Leistung’: Zwar wird immerhin seit der Übernahme der Schulträgerschaft (1972) ein Teil des Kostenaufwandes für die Krankengymnastik vom Land NRW erstattet, aber nicht für die Logopädie und die Beschäftigungstherapie. In aller Eile wird in der Schule überlegt: Was ist zu tun?
Und dann wehren sich Eltern und Schüler und die Mitarbeiterschaft der Körperbehindertenschule Münster öffentlich in Presseartikeln, mit Flugblattaktionen und bei Gesprächen mit dem Schulträger gegen diese Sparmaßnahmen und fordern den Erhalt der Therapien.

Das Hauptargument: Wozu gibt es eigentlich eine Körperbehindertenschule, wenn sie nicht bietet, was für die Schülerinnen und Schüler zwingend notwendig ist und anderswo nicht geleistet wird?

Vom unerwarteten öffentlichen Protest überrascht oder von den Argumenten überzeugt (?), werden die bereits beratenen Maßnahmen überwiegend wieder zurück gestellt.

 

Klassenfahrten, Spiel und Sport, große und kleine Schulfeste, viele außerunterrichtliche Aktivitäten gehören zum Schulleben

Wichtiger Bestandteil des Schulalltags am neuen Schulstandort sind schon in den 70er Jahren Sport und Schwimmen, ermöglicht durch die jetzt vorhandenen Räume. Und von Beginn an gehören immer wieder umfangreich geplante Sport- und Spielfeste dazu.

Schulzeitungen von früher dokumentieren eine große Anzahl von spannenden Unterrichtsprojekten und Projektwochen zu unterschiedlichsten Themen. Berichte von Klassenfahrten in die nähere Umgebung, aber auch nach Berlin, Hamburg und Köln,
in die Niederlande, nach Österreich oder zuletzt auch nach Großbritannien (2009) geben einen
Eindruck auch von Reiselust.

Und auch wenn der Schulname ‚Regenbogenschule’ beim LWL-Schulträger ab 1987 erstritten wird – und erst später offiziell verwendet werden darf – ist das Schulleben schon damals und zu allen Zeiten vielgestaltig und ‚regenbogenbunt’ gewesen: ‚Regenbogenschule‘ passt in vielerlei Hinsicht!

Schulleitungen ‚prägen’ die Schule

Nachdem Reinhard Reddemann die Schulleitung bereits zuvor im Heinrich-Piepmeyer-Haus innehatte, ist seine ‚große’ Schulleiterzeit dann in der Westfälischen Schule für Körperbehinderte. Groß deshalb, weil mit ihm als ‚Chef’ die Schule aus recht kleinen Anfängen wächst und er als Schulleiter mitwachsen muss. Umständehalber kann dies kein ruhiges und organisches Wachsen sein, die Zeiten sind anstrengend, die Entwicklungen rasant. Die Schulleitung erfordert Verhandlungsgeschick gegenüber dem Schulträger, Durchhaltevermögen in personell schwierigen Zeiten, Nervenkraft in komplizierten Situationen, einen ‚diplomatischen‘ Umgang mit wechselnden Schulaufsichtsbeamten, eine ausgleichende Hand bei internen Konflikten und immer wieder eine positive Grundhaltung: Nicht einfach! 
 

Adele Tramm: „Herr Reddemann war lieb und gut. Manche meinten wohl auch, dass sie ihn ausnutzen könnten. Und über lange Jahre hat er eigentlich als Schulleiter alleine dagestanden. Das hat viele Energien gefordert und auch aufgezehrt: Aber er hat durchgehalten bis zur Altersgrenze.“

 

Erst mit der Verselbständigung der vorherigen Außenstelle in Sendenhorst (dann also Erich-Kästner-Schule in Oelde) wird die eigentlich vorhandene Konrektorenstelle frei und kann besetzt werden. Ab 1983 gibt es also erstmalig ein funktionierendes Schulleitungsteam, da Mechthild Oexle als Konrektorin ihre Arbeit aufnimmt.

Und schon bald erfolgt eine nächste Veränderung. Am 18. Juli 1986 wird der langjährige Schulleiter Reinhard Reddemann in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, nachdem er – in der ihm eigenen Art – der Schule 15 Jahre lang seinen Stempel aufgedrückt  hatte.

Ab dem Schuljahr 1986/87 leitet dann Mechthild Oexle die Schule für die nächsten 15 Jahre.
Darüber zu berichten ist Gegenstand der nächsten Folge der Schulchronik (“Schule im Umbruch: Integration und Inklusion – neue Begriffe und neue Herausforderungen“), die zu einem späteren Zeitpunkt erstellt und veröffentlicht werden wird.